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4. Juli 2023
Rückblick Sommersession 2023
Der Druck auf die Gewässer ist enorm, dies hat die Sommersession im Juni 2023 wieder gezeigt. Auch eine Antwort auf die Biodiversitätskrise steht weiterhin dringend aus.
1. Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft (Biodiversitätsinitiative). Volksinitiative und indirekter Gegenvorschlag (Motion 22.025)
Entscheid des Ständerats vom 13. Juni 2023
Ohne Not hat der Ständerat den Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative abgelehnt. Zwar bestreitet er nicht die Dringlichkeit der Biodiversitätskrise, weigert sich jedoch, wirksame Massnahmen zu beschliessen. Bundesrat, Nationalrat, Kantone, Städte und Gemeinden haben solche Massnahmen längst gefordert. Denn es steht schlecht um die Biodiversität der Schweiz: Mehr als ein Drittel der Arten und rund die Hälfte aller Lebensräume sind gefährdet. Bei den ans Wasser gebundenen Arten ist die Situation sogar noch dramatischer. Um die Biodiversität unseres Landes zu erhalten, besteht vor allem bei der Fläche, bei der Qualität und bei der Vernetzung der Lebensräume grosser Handlungsbedarf. Und genau hier setzen Initiative und Gegenvorschlag an, die auch von Aqua Viva als Partnerorganisation der Biodiversitätsinitiative unterstützt werden.
Nach der Entscheidung des Ständerats geht der Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative zurück an den Nationalrat, der entscheiden muss, ob er am Entwurf festhalten möchte.
2. Sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (Energie-Mantelerlass). Bundesgesetz (Motion 21.047)
Entscheid des Ständerats vom 1. / 8. Juni 2023
Bereits heute leisten die Gewässer einen grossen Beitrag zur Energiegewinnung – und sind bereits heute stark verbaut und übernutzt. Nach dem Entscheid des Ständerates sollen Energieanlagen in Biotopen von nationaler Bedeutung weiterhin nicht möglich sein. Wir begrüssen diesen Erhalt des geltenden Rechts sehr, doch unverständlich für Gewässer und Biodiversität sieht der Mantelerlass zwei grosse Ausnahmen vor: So soll der Bau von Energieanlagen bei neu entstehenden alpinen Gletschervorfeldern und alpinen Schwemmebenen von nationaler Bedeutung, die nach dem 1. Januar 2023 unter Schutz gestellt werden, möglich sein. Dadurch würden unberührte Gewässerlebensräume der Schweiz mit ihrer einzigartigen und schützenswerten Flora und Fauna zerstört. Es bestehen allerdings berechtigte Zweifel, ob dies einfach so möglich ist: Denn die Schweiz hat sich mit der Unterzeichnung internationaler Abkommen zum Schutz der Biodiversität und der Alpen verpflichtet – dazu zählen das Abkommen von Kunming-Montreal, die europäische Landschafts- und die Aarhus- sowie die Alpenkonvention. Zudem will der Ständerat erlauben, dass neu Restwasserstrecken im Schutzobjekt von nationaler Bedeutung möglich sind. Das führt den Schutz dieser Biotope ad absurdum. Auch, dass in Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN)-Gebieten auf die Leistung von Schutz-, Wiederherstellungs-, Ersatz- oder Ausgleichsmassnahmen verzichtet werden darf, ist nicht im Sinne der Biodiversität.
Es ist erfreulich, dass der Ständerat den Beschluss des Nationalrats in Bezug auf die Sistierung der gesetzlichen Restwassermengen revidiert hat. Allerdings droht unseren Gewässern doch ein Verlust des Wichtigsten: Wasser. So will der Ständerat dem Bundesrat das Recht zusprechen, bei Strommangellagen die gesetzlichen Restwasserbestimmungen (nach Artikel 31 GSchG) vorübergehend auszusetzen, wie es bereits im letzten Winter geschah.
Unverständlich bleibt für Aqua Viva, wie eine Liste von Wasserkraft-Projekten in einem Gesetz Einzug findet – und wie diese Liste durch den Nationalrat mit einem weiteren Wasserkraftwerk (Chlus, GR) ergänzt werden konnte. Dies wurde vom Ständerat leider nicht korrigiert.
Nun befasst sich die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK-N) mit den verbleibenden Differenzen aus National- und Ständerat.
3. Ehehafte Wasserrechte schützen und einen klaren Rahmen für die Anwendung der Restwasserbestimmungen schaffen (Motion 23.3498)
Entscheid des Nationalrats vom 6. Juni 2023
Die Inhaber:innen von ehehaften Wasserrechten dürfen unsere Gewässer unbefristet und kostenlos, also ohne Konzessionsgebühren und Wasserzinse, nutzen. Zudem müssen diese Nutzungen nur beschränkt restwassersaniert werden (Art. 80 GSchG). Trotzdem ist die Nutzung subventionsberechtigt. Aufgrund der fehlenden Fischgängigkeit und zu geringer Restwassermengen werden Wasserkraftwerke, die auf Grundlage ehehafter Rechte betrieben werden, zur Sackgasse für Fische und andere Gewässerbewohner. Dies alles, ohne dass dadurch ein relevanter Beitrag zur Stromproduktion geleistet würde. Denn die circa 300 noch auf Grundlage ehehafter Rechte betriebenen Anlagen produzieren lediglich zwischen 70 und 100 GWh Strom pro Jahr. Dies sind weniger als 0.1 Prozent der Schweizer Stromproduktion. Das Bundesgericht hat auch deshalb 2019 ein klares Urteil zur entschädigungslosen Ablösung der ehehaften Wasserrechte gesprochen (Sanierung Kraftwerk Hammer) und deren Überführung in zeitgemässe und befristete Wassernutzungskonzessionen bestimmt. Diesem Urteil ist nun auch der Nationalrat gefolgt und hat es abgelehnt, die ehehaften Rechte dauerhaft in der Verfassung zu verankern. Angenommen wird das Anliegen der Motion, zu regeln, in welchem Zeitrahmen Wasserkraftwerke mit ehehaften Wasserrechten die Sanierungspflichten einhalten müssen.
Aqua Viva begrüsst diesen Entscheid und fordert, dass die Kantone nun schnellstmöglich an der Überführung sämtlicher ehehafter Rechte in geregelte Konzessionen arbeiten und die betroffenen Kleinstwasserkraftwerke endlich ökologisch saniert oder rückgebaut werden.